C. Christ-von Wedel: Erasmus von Rotterdam

Cover
Titel
Erasmus von Rotterdam: Anwalt eines neuzeitlichen Christentums.


Autor(en)
Christ-von Wedel, Christine
Reihe
Historia profana et ecclesiastica 5
Erschienen
Münster 2003: LIT Verlag
Anzahl Seiten
286 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Susanna Burghartz, Universität Basel, Historisches Seminar

Christine Christ-von Wedel legt mit ihrer gut lesbaren Studie eine intellektuelle Biographie vor, die den historisch-kritischen Theologen Erasmus ins Zentrum der Darstellung rückt und dabei zugleich herausarbeitet, wie Erasmus «zu seinem neuen, viele Zeitgenossen so befremdenden historischen Ansatz» (S.19) gekommen ist.

Im ersten Kapitel verfolgt die Verfasserin die Schulzeit von Erasmus und seine ersten intellektuellen Unternehmungen, von Antikensehnsucht geprägte Briefe, klassisch stilisierte Reden und Gedichte, seine Überlegungen zur Geschichtlichkeit alles Irdischen und seine Kritik an der Scholastik, aber auch heilsgeschichtlich orientierte Gedichte. Sie untersucht die neuplatonischen Einflüsse auf sein Frühwerk, v.a. im «Enchiridion», und verfolgt seine Auseinandersetzung mit Lorenzo Vallas «Annotationes zum Neuen Testament», die Erasmus schliesslich dazu brachten, selbst eine kritische Ausgabe des Neuen Testaments zu unternehmen. Das Kapitel schliesst mit einer klassischen Analyse des «Lobes der Torheit» in der Christ-von Wedel vor allem den kühnen, kritischen Theologen Erasmus betont, der voller Spott heikle Themen aufgreift.

Vor diesem Hintergrund wendet sich die Verfasserin im zweiten, für ihre These zentralen Kapitel der exegetischen Arbeit von Erasmus in seiner Edition des neuen Testamentes zu. Ausgehend von Valla verfolgte Erasmus zeitlebens sein genuin historisches Programm, die antiken Texte zu rekonstruieren, um so einen angemessenen Kontext für das Verständnis des Bibeltextes zu erarbeiten. Erasmus verstand die Bibel als historische Quelle, die Sprache der Evangelisten als historisch bedingt und vermittelt, die Apostel als historische Zeugen, die nicht frei von Irrtum bleiben konnten. Und entsprechend proklamierte Erasmus die Aneignung des historischen «Handwerkszeugs» (S. 87) als Voraussetzung für die exegetische Arbeit der Theologen. Vergleichend arbeitet Christ-von Wedel Erasmus’ historischen Ansatz im Umgang mit der Rekonstruktion des Bibeltextes heraus, der sich deutlich von den Reformatoren unterschied, und plausibilisiert dabei ihre Lektüre der Evangelisten als Historiker vor allem am Beispiel von Lukas. Anschaulich fassbar macht die Verfasserin diese Unterschiede in der Auseinandersetzung mit dem Passionsgeschehen: während die Reformatoren, wie im Übrigen auch der altgläubige Eck, die Passion als «jederzeit neu zu aktualisierendes Drama» begreifen, ist sie für Erasmus «ein historisches Faktum», das es quellennah nachzuerzählen gilt (S. 11). Sie zeigt im folgenden, wie diese Haltung, in der sie seine besondere Modernität erkennt, Erasmus längerfristig vielen seiner Verehrer und Freunde entfremdete, allen voran Zwingli und dessen radikalen reformatorischen Positionen und Handlungen.

Im dritten Kapitel stellt Christ-von Wedel ausführlich die Theologie des Erasmus vor, die seinen Gegnern zunehmend Anlass zur Kritik bot. Sie behandelt unter anderem seine Ausführungen zur Trinität, zur Rechtfertigungslehre, zur Willenslehre, zum Umgang mit dem Dogma, aber etwa auch seine Ablehnung magischer Erklärungsangebote. Als Glaubenslehrer vertrat Erasmus die Ansicht, dass Gott sich nur durch Menschen und somit innerhalb der Geschichte offenbare. Dieses Interesse an der menschlichen Geschichte stellt die Verfasserin in engen Zusammenhang mit den Reformanliegen von Erasmus, die Gegenstand des vierten Kapitels sind.

Hier geht es um das Verhältnis von göttlichem und menschlichem Gesetz, die Gefahr der Veräusserlichung und die Notwendigkeit zu zeitgemässer Anpassung. Ebenso wichtig war Erasmus aber auch die Friedensfrage, die kritische Diskussion des Ius belli und seine Lehre vom Krieg als ultima ratio, die auch im Kampf die Feindesliebe nicht obsolet werden lässt. Erneut hebt Christ-von Wedel die Bedeutung der historischen Argumentation durch Erasmus hervor, der damit die auf das Alte Testament gründende Rechtfertigungslehre der Pariser Fakultät zurückgewiesen habe. Ihre Ausführungen zu den Reformanliegen des Erasmus beschliesst die Autorin, indem sie die Stellungnahmen des Erasmus zur Ehe- und Frauenfrage seiner Zeit untersucht.

Im fünften und letzten Kapitel zieht Christine Christ-von Wedel ein Fazit, das sich nochmals mit Positionsbezügen auseinandersetzt, die Erasmus am Ende seines Lebens selbst vornahm. So bekannte sich Erasmus explizit zur Zweideutigkeit als notwendiger Folge der menschlichen Geschichtlichkeit. Sein dezidiertes Eintreten für die Anerkennung der Historizität jeder, auch der eigenen, Position macht für die Verfasserin die Modernität des Erasmus aus, eine Modernität die bei seinen eigenen Zeitgenossen aufgrund des wachsenden Konfessionalismus zunehmend an Akzeptanz verlor.

Zitierweise:
Susanna Burghartz: Rezension zu: Christine Christ-von Wedel: Erasmus von Rotterdam: Anwalt eines neuzeitlichen Christentums (Historia profana et ecclesiastica 5). Münster, 2003. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 2, 2007, S. 222-223.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 2, 2007, S. 222-223.

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